07 Januar 2007

Sozialmißbrauch

Nun auch noch Herr Struck, nach Herrn Beck und anderen hoffnungslosen Illiteraten: Mißbrauch der Sozialleistungen durch HartzIV-Empfänger. Dieser Staat wird offenbar von diesen unanständigen Sozialschmarotzern in den Abgrund getrieben. Dieser Politikerkamarilla gehts offensichtlich zu gut: Sie verstehen einfach nicht, dass es nicht nur keine Jobs gibt, sondern ihre Regeln auch dazu führen, dass Menschen wieder hungern müssen. Sie verdienen offensichtlich so viel Geld, dass sie nicht verstehen, was es heißt, wenn Kinder, die zu Hause wohnen, kein Geld zum Wohnen bekommen und ihren Eltern Mietanteile mit der Begründung abgezogen werden, die - erwachsenen - Kinder müßten sich an der Miete beteiligen.
Mehr Anstand von Sozialhilfeempfängern forderte letztens der frisch gekürte SPD-Vorsitzende Kurt Beck. Vielleicht wäre ein bisschen Anstand bei Politikern vorrangig. Von Menschen, die bis zur Unterkante Oberlippe im Dreck der Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung stecken, mehr Anstand zu fordern, ist wohl zu viel verlangt. Von Politikern einen solchen zu verlangen, paßt wohl auch nicht in die politische Landschaft. Ob es so richtig anständig von Gerhard Schröder war, zu Gazprom zu wechseln, ist ja umstritten. Oder der ehemalige Wirtschaftsminister Müller, der jetzt bei der RAG hockt, nachdem er zu entscheiden hatte, ob Ruhrgas und Eon fusionieren dürfen. Schon früher hatte das energieportal24 gemeint:
Der Mann hat einfach ein Brett vor der Sonne. Deshalb tut er seinen alten Freunden von der alten Energiewirtschaft immer mal wieder einen Gefallen und sabotiert die Solarförderung.

Das ist alles ganz anständig. Wir wechseln vom Stromerzeuger ins Wirtschaftsministrium, hier gibt es die eine oder andere Ministererlaubnis und zum Dank werden wir Aufsichtsratsvorsitzender des größten deutschen Energieerzeugers. Natürlch ist das legal, aber anständig?
Über das Nichtlegale Handeln von Politikern, das mit Anstand auch nichts zu tun hat, wächst das Gras der Zeit. Erinnert sich noch jemanden an einen bestimmten Grafen, der wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde? Wahrscheinlich nicht. Ist ja auch nicht so wichtig. Und dieser Einzelfall ist ja keiner. Die Liste ist lang, im Großen wie im Kleinen.
Nun liegt es mir fern, das Eine mit dem Anderen zu rechtfertigen. Auch HartzIV-Empfänger wollen zuerst einmal nur leben. Aufschlußreich ist der Bericht des HartzIV-Ombudsrates, der im Sommer 2006 mit dem Ende seiner Amtszeit erschien. Gut 10.000 Beschwerden habe es gegeben. Es sei keine dabei gewesen, die sich über unzumutbare Arbeit beschwert habe, erklärte die Vorsitzende Christine Bergmann.
Die Mißbrauchsdebatte lenkt nur wieder davon ab, dass es Ziel unseres Wirtschaftssystems ist, menschliche Arbeit weitgehend überflüssig zu machen. Die Hoffnungen der Utopisten des 19ten Jahhunderts erfüllen sich allmählich: Menschliche Arbeitskraft wird ersetzt durch Maschinen. Nur die Folgen hatten sie nicht bedacht, obwohl sie auch diese hätten sehen können: Das Wirtschaftssystem des Kapitalismus war 1860 oder 1880 kein grundlegend anderes als heute. Wovon soll der von der Arbeit befreite Mensch denn morgens Angeln, mittags lesen und abends Sporttreiben können (aus dem Gedächtnis frei zitiert: Marx) , wenn ihm die Verwertung seiner Arbeitskraft verwehrt bleibt? [Etwas genauer hier: In der 1845/46 entstandenen Deutschen Ideologie schlägt er mit Engels einen Kommunismus vor, in dem es möglich sei, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben", ohne sich dazu auf einen der Berufe festlegen zu müssen.(15)] Wenn nur die Verwertung der Arbeitskraft als Ware ihm die notwendigen Mittel zum Leben gibt?

Die Meldung von Samstag, 25. Juni 2006: Allianz will 7000 Jobs streichen. Seit Wochen ist im Gespräch, dass VW 30.000 Stellen streichen will. Seit Jahren ist klar, dass im Banken- und Versicherungswesen weniger Menschen benötigt werden. Das hat etwas mit dem Einsatz von Computern und Großrechnern zu tun, aber auch mit den Fusionen. Wenn Kunden ihr Geld am Automaten ziehen, brauche ich keinen Kassierer mehr, der auszahlt. Wenn ich anstatt 100.000 Versicherungsverträge nun 150.000 verwalte, benötige ich nicht 50 Prozent mehr Personal. Der Vertrieb wird zusammengelegt, genauso wie die Verwaltung. Als Konzern oder Einzelunternehmen sind zuerst meine Zahlen wichtig. Wir leben nicht in der DDR, die es sich leistete, Menschen in Arbeit zu halten, die eigentlich nicht gebraucht wurden.
Die unbeantwortete Frage bleibt aber: Was sollen alle die tun, die nie wieder Arbeit finden? Früher sind sie ausgewandert, haben Indianer ausgerottet und Schwarze verjagt. Das geht heute nicht mehr so einfach. Genauer: Wovon sollen sie leben, wenn sie nicht auswandern können, in der BRD immerhin z. Zt. 7 Millionen Menschen?
Industrie, Handwerk und Landwirtschaft können Waren und Lebensmittel in einer Menge produzieren, die allen Bürgern mehr als ein Auskommen schaffen würden. Wenn die BRD nicht Exportweltmeister wäre - wahrscheinlich wegen der völlig überhöhten Löhne - würde die Auslastung in Industrie und Handwerk wohl nur 50% betragen.
Ein anderes Warenverteilungsmittel als Geld muß her. Und dabei sind die ökologischen Notwendigkeiten noch gar nicht bedacht.
Geld, wie wir es heute kennen, erfüllt seinen Zweck nicht mehr, die Bürger eines Staates mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Da aber an Geld und Vermögen auch Macht gebunden ist, heißt eine solche These natürlich auch, die Machtfrage zu stellen. Das mögen natürlich die westlichen Politiker nicht. Schließlich nutzt es ihnen. Auch wenn der eine oder andere an frühem Verschleiß stirbt.

Das war als Entwurf im Juni 2006 gespeichert. Ich finde es erschreckend, dass der Text an Aktualität nichts eingebüßt hat. Die irren Vorschläge des Herrn Steil, den ich schon mal für einen honorigen Menschen gehalten habe, zeigen, dass Leuten, die auffallen wollen, nichts zu blöd ist, als dass es nicht auf Kosten der Ärmsten gehen könnte. Profilierung auf Kosten von ALGII-Empfängern: Billig. Was will er damit erreichen? Als Direktor eines Armutsamt, pardon, Arbeitsamt, ach so, Agentur für Arbeit, hat er sich damit desavouiert. Oder auch erst richtig profiliert.