02 August 2005

Zu viel Geld für Azubis

Der Deutsche Industrie und Handelskammertag findet (August 2005), dass deutsche Auszubildende zu viel Geld bekommen. Er schlägt vor, die Vergütung auf 270 Euro pro Monat zu reduzieren. Ziel des Vorschlages sei es, die kleineren Unternehmen zu entlasten, damit diese wieder mehr Ausbildungsplätz bereitstellen.
Wer sich die Bewerberzahlen ansieht, die pro Ausbildungsplatz bei den Unternehmen eintrudeln, kann die Begehrlichkeit verstehen: Wenn, wie mir von einem Fall bekannt, auf drei Ausbildungplätze in der Filiale eines Kaufhauses 2000 Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskaufmann eingehen, warum sollen die Unternehmen dann überhaupt noch Geld dafür bezahlen, dass sie die jungen Leute ausbilden? Genommen wurden in dem Fall nur Abiturienten. Früher mußte man Lehrgeld zahlen. Sollten wir das nicht wieder einführen, um die 160.000 Lehrplätze zu schaffen, die noch fehlen? Zurück ins 19. Jahrhundert, aber marsch marsch. Das paßt auch in die Neue Politik, die ab September zu erwarten ist.
Aber im Ernst: Die Politik jammert über fehlenden Nachwuchs, die Unternehmer über fehlende Motivation der jungen Leute, der DGB beklagt fehlende Ausbildungsplätze und die CDU-Frau Katharina Reiche findet die Senkung laut Tagesschau einen bedenkenswerten Vorschlag.
Schaue ich mir die Unternehmenslandschaft an, so stelle ich fest: Die hundertausend kleinen Betriebe, der Bäcker um die Ecke, der Kolonialwarenhändler, der kleine Im- und Exporteur, die Kohlenhandlung, der kleine Schreiner- oder Tischlerbetrieb etc, sie sind alle verschwunden. Sie alle haben früher Lehrlinge eingestellt, auch weil es sich für sie gerechnet hat, nicht wegen der geringen Zahlungen, die spielten spätestens im zweiten Lehrjahr keine Rolle mehr. Jeder Lehrling kann ein Lied davon singen, wie er, auch und gerade in kleineren Betrieben, nicht nur ausgebildet, sondern auch am Kunden beschäftigt wird, also sein Geld möglichst schnell einspielen muß. Da die Betriebe den Gesetzen der Marktwirtschaft zum Opfer gefallen sind, fehlen auch die Ausbildungsplätze. Am dualen Ausbildungssystem aber soll nicht gerüttelt werden. Hier wird die ausbildungswillige Jugend in Geiselhaft genommen für ein System, dass sich einen Dreck um die beteiligten Menschen schert, sondern diese nur als zu minimierenden Kostenfaktor der einzelbetrieblichen Kalkulation sieht.
Übrigens: In NRW beträgt die Ausbildungsvergütung im Damenschneiderhandwerk im ersten Lehrjahr 160 Euro. Vielleicht wären diese Azubis dankbar für eine Anhebung.
Wer zahlt eigentlich die Kosten für einen jungen Menschen im Alter von, sagen wir einmal 18 oder 19 Jahren, der sich ja wohl mit einem Gesamteinkommen pro Jahr von 1920 Euro nicht ernähren, kleiden und behausen und vergnügen kann?

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