07 Juli 2005

Aufräumen I

Eigentlich suchte ich meine Ausgabe von Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaktis. Ich fand diese, aber auch noch folgendes: Wolfgang Berg: Die besten Schnäppchen von Vater Staat. 1000 ganz legale Tips, wie man an die öffentlichen Leistungen von Gemeinden, Stadt, Land und Staat kommt. (München 1993)
Das war noch zu Mark-Zeiten. Ich war nie gut darin, an öffentliche Leistungen zu kommen. Vielleicht hatte ich das Buch deshalb gekauft. Berg wollte damals aufzeigen, dass die "misera contribuens plebs", das "arme steuerzahlende Volk" (Horaz) anders als die Reichen und Mächtigen zwar nicht die Möglichkeit haben, sich wirklich zu bereichern, dass aber bei diesem die Neigung zunimmt, das zu beanspruchen, was ihm von Rechts wegen zusteht. Viele Leistungen wurden früher nicht in Anspruch genommen, weil der Ehrenkodex das verbot. Da aber, so Berg, die politische Elite vormache, dass man sich bedienen müsse, so sinke auch bei der plebs die Hemmschwelle.

Beim weiteren Durchblättern fielen mir doch fast die Augen aus dem Kopf. Eine Auflistung von Politikern, die in der einen oder anderen Weise durch respektlosen Zugriff aufgefallen waren. Da das politische Personal nur langsam wechselt und der gedankliche Zusammenhang zu den neuesten Gerüchten über Wolfsburgs Elite nicht verschwiegen werden soll, hier die Liste von Berg:

Eichel, Hans (SPD): Hessens Ministerpräsident - Jahresgehalt über 250.000 Mark - ließ sich für 1,57 Millionen Mark mit öffentlichen Geldern seine Dienstvilla renovieren. 1993 zahlte er nur 14,05 Mark/pro qm für seine 221 qm große Luxuswohnung. Die Vergleichsmiete in seiner Wiesbadener Wohngegend beträgt jedoch 18 Mark.

Engholm, Björn (SPD): Nachdem sein ehemaliger Sozialminister Günther Jansen wegen der Zahlung einer fünfstelligen Summe (»aus der Schublade«) an einen zwielichtigen Informanten zurücktreten mußte, hatte auch der SPD-Chef und schleswig-holsteinische Ministerpräsident Engholm zugeben müssen, »nicht die ganze Wahrheit« gesagt zu haben: Rücktritt am 3. Mai 1993.

Krause, Günther (CDU): Der einstige Bundesverkehrsminister aus Mecklenburg verstand nach der neuen deutschen Einheit (die für ihn neue) Marktwirtschaft gründlich miß und gleich mehrfach falsch, hielt sie für einen Selbstbedienungsladen. Nachdem das örtliche Arbeitsamt seiner Frau Heidrun auf Antrag eine 49jährige »Langzeitarbeitslose« mit einem Lohnkostenzuschuß von 30 Prozent als Putzfrau vermittelt hatte, war das den Krauses zu wenig. Sie wollten mehr abstauben und drückten mit einem zweiten Antrag 70 Prozent Kostenerstattung durch. Auf Kosten der Allgemeinheit (Steuergelder) versuchte sich »Schmarotzki-Krause« - wie ihn eine Zeitung betitelte - auch dadurch zu bereichern, daß er sich die Kosten seines Umzugs von Berlin in sein heimatliches Ostsee-Dorf Börgerende vom Verkehrsministerium im September 1991 mit 6.390,84 Mark erstatten ließ. Nach den Vorschriften jedoch wäre nur ein Umzug vom alten Wohnort zu seinem neuen Dienstsitz in Bonn förderungswürdig gewesen. Obwohl Krause öffentlich sagte, er sei sich keiner Schuld bewußt, trat er am 6. Mai 1993 zurück. Seitdem gilt, wenn man den Staat ausnimmt, das Wort »verkrausulieren«.

Lafontaine, Oskar(SPD): Für seine frühere Amtsführung als Saarbrücker Oberbürgermeister kam er jahrelang in den Genuß von insgesamt 100.700 Mark Pensionsausgleichs-Zahlungen, nachdem die saarländische Landesregierung klammheimlich das Ministergesetz änderte, das die Rentenbezüge der höchsten Staatsdiener regelt. Saarlands Ministerpräsident Lafontaine zahlte das Geld zurück. Doch trotz dieser Erfahrung kam der Wirtschaftsexperte Oskar Lafontaine auch 1993 wieder in die Schlagzeilen, weil er sich bei seinem hessischen Kollegen Eichel ein Jahr zuvor für die Beförderung seiner Lebensgefährtin Christa Müller stark gemacht hatte. Der Haken der leidigen Geschichte: Frau Müller hatte sich bereits 1988 als Oberregierungsrätin auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst beurlauben lassen und leitet als freie Mitarbeiterin der SPD-eigenen Friedrich-EbertStiftung Seminare über Arbeitsmarktpolitik. Doch obwohl eine beurlaubte Oberregierungsrätin ja gar nicht eine »besondere Leistung« nachweisen kann, will die Lebensgefährtin dennoch in die höhere Besoldungsgruppe A15 als Regierungsdirektonin aufsteigen. Karrieresprung durch Nichtstun ... Für Lebensgefährten Lafontaine kein Grund, dies nicht zu fördern! Und zwar auf Kosten des Steuerzahlers!

Möllemann, Jürgen (FDP): Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister hatte auf dem offiziellen Briefpapier seines Amtes und mit seiner Unterschrift bei großen Einkaufszentren für ein neues System bei Einkaufswagen geworben, das ein Vetter seiner Frau entwickelt hatte. Konsequenz der unlauteren Vettern-Wirtschaft: Möllemanns Rücktritt Anfang 1993.

Pfarr, Heide (SPD): Die hessische Frauenministerin hatte für die Renovierung ihrer Privatwohnung und den Umzug von Hamburg nach Wiesbaden über 50.000 Mark aus der Staatskasse abkassiert. Was auch bei großzügigster Interpretation der ministeriellen Vorschriften zu viel war: Rücktritt im Mai 1993!

Rühe, Volker (CDU): Auch der Bundesverteidigungsminister mußte sich 1993 seitens des Bundesrechnungshofes eine Rüge und eine Regressfrage einfangen. Es geht immerhin um runde 600.000 Mark, die für die Umschulung des früheren Generals Walter Schmitz aufgewendet worden waren. Der Ex-General wurde noch auf das Kampfflugzeug Tornado umgeschult, obwohl bekannt war, daß er sowieso demnächst in den vorzeitigen Ruhestand gesetzt werden sollte.

Späth, Lothar (CDU): Nach 12 Jahren als Ministerpräsident von Baden-Württemberg mußte der eifrige Schwabe zurücktreten, weil er sich vom Wirtschaftsboß Helmut Lohr zu luxuriösen Urlaubstouren einladen ließ. Lohr mußte wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter.

Steinkühler, Franz (IG Metall): Der einst mächtigste Gewerkschaftsboß der Welt hatte sich als Aufsichtsratsmitglied von Daimler-Benz durch eine spontane Spekulation mit Mercedes-Aktien an der Börse um mindestens 64.000 Mark bereichert. Der Verdacht, daß er dafür seine internen Informationen (»InsiderWissen«) nutzen konnte, förderte im Mai 1993 seinen Rücktritt. Ein Insider wird zum Außenseiter ...

Stoiber, Edmund (CSU): Der bayerische Ministerpräsident war früher als Innenminister mehrfach mit kostenlos von Autofirmen zur Verfügung gestellten Luxuslimousinen gemeinsam mit seiner Familie in den Urlaub gefahren. Nur sein rechtzeitiger und einsichtiger Schritt an die Öffentlichkeit bewahrte ihn im Frühjahr 1993 vor einem Karriereknick.

Streibl, Max (CSU): Der frühere Ministerpräsident Bayerns trat im Mai 1993 von seinem Amt zurück, weil er sich von einem befreundeten (»Amigo«) Unternehmer, der auch Staatsaufträge aus Steuergeldern erhielt, zu kostenlosen Ferien nach Brasilien einladen ließ. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, Flugzeuge und Luxusautos von bayerischen Firmen für Privatzwecke benutzt zu haben.

Süssmuth, Rita (CDU): Ihr Mann, Professor Hans Süssmuth, fuhr zwei Jahre lang einen Dienstwagen seiner Frau, der Bundestagspräsidentin. Zwar waren es auch offizielle Termine, bei denen er sozusagen nur den »Chauffeur« spielte. Gelegentlich aber fuhr er mit der Staatskarosse auch zu privaten Treffen. Hinzu kam, daß er sich trotz des gesamten monatlichen Familieneinkommens von rund 40.000 Mark das Benzingeld von der Staatskasse rückerstatten ließ. Seitdem fällt der große Schatten von Bundeskanzler Kohl auf die Karriere von Frau Süssmuth.

Voscherau, Henning (SPD): Der Oberbürgermeister von Hamburg mußte das 1992 unter seiner Fraktionsführung 1987 entstandene Pensionsgesetz wieder zurücknehmen, nach dem die Altersbezüge für Senatoren um bis zu 3.000 Mark angehoben worden waren.

Wedemeier, Klaus (SPD): Bremens Bürgermeister ist gleichzeitig Aufsichtsrat der Stadtwerke. So bezog Wedemeier jahrelang elektrischen Strom für Privatzwecke zum halben Preis. Der Bürgermeister erkannte das hohe Risiko des »Billigstroms« und zahlte 1.617,38 Mark zurück.

Die »Tour Skandalös« zieht natürlich auch bei den unteren gewählten und beamteten Amtspersonen ihre peinlichen »Absahner«-Kreise: Auf Kosten der Steuerzahler dürfen beispielsweise Münchner Stadträte kostenlos ins Nationalmuseurn. In Köln verschenkt das subventionierte Städtische Orchester je 20 Eintrittskarten an die Mitglieder des Kulturausschusses. Fast überall im Bundesgebiet erhalten Stadträte entweder Freikarten fürs Schwimmbad, für Museen, für den Bus oder die Tram - oder auch für alles zusammen. Außerdem unterstellt der Bund der Steuerzahler (Wiesbaden) den deutschen Beamten mangelnde Moral und wachsende Bestechlichkeit. {Ende des Zitats}

Die vorstehende Liste ist keine, in der irgendjemandem strafrechtlich relevantes Handeln vorgeworfen wird. In Zeiten von Hartz IV und der zunehmenden Verdächtigung eines jeden Bürgers durch die Staatsgewalt, Steuerhinterzieher, Schwarzarbeiter oder Leistungsempfänger zu Unrecht zu sein, darf nicht vergessen werden, dass diejenigen, die Wasser predigen, Wein saufen. Das war schon immer so. Und immer kam es irgendwann zu einem Clash-Back, wie es so schön anglizistisch heißt. Das gemeine Volk war dann gemein genug, nicht mehr mitmachen zu wollen. Und hat zurückgeschlagen. Interessant finde ich, abgesehen davon, dass sich die Bergsche Liste bis heute unschwer verlängern läßt, dass die Kriterien für moralisch unsauberes Handeln von Mächtigen strenger geworden sind. Man denke nur an die Bonusmeilenaffairen.
Was immer auch an den Gerüchten über Volkswagen dran sein mag, der Link am Ende des Textes führt zu einem interessanten Text bei pickings.de, vor dreißig Jahren hätte das keinen gestört. Ob Herr X eine Firma aufmacht, um mit seiner Firma Geschäfte zu machen, wenn niemand geschädigt wurde, es hätte niemanden gekratzt.
Ob das hoffen läßt?

Link