05 Mai 2005

Kapitalisten

Hatten wir alten Alt-68er nicht mühsam lernen müssen, solche I-Gitigitt-Worte wie "Kapitalisten", "Kapitalismus", "Ausbeutung" oder "Lohnarbeit" aus unserem Vokabular zu streichen? Da kommt ein Sauerländer daher und schmeißt wieder alles über den Haufen. Macht mit seinem Schröder seit Jahren die schönste neoliberale Politik - bis zum Verhungern erfolgreich - und plötzlich soll das alles falsch sein?
Gut, als ich im April davon las, hatte ich das Gefühl, die Sozialdemokraten bereiten sich auf die Opposition vor. Ist ja auch viel kuscheliger, in der Opposition die Regierung anzumachen als selber im Sturm zu stehen, in diesem, unserem so erstarrten, reformunwilligen Lande.
Dem Begriff "Reform" haben sie einen neuen Inhalt verpaßt, ich vermute, den Begriff "Kapitalismus" werden sie ähnlich vergewaltigen. Lieber die "Keine-Löhne-Tendenz" der Unternehmer, ach ja, das war der richtige Begriff, bejubeln, als beweinen zu müssen, dass diese außer Landes fliehen. Arbeitsplätze, die keine Nachfrage im Inland mehr schaffen, können auch den Müll hierzulande nicht vermehren. Ist das jetzt zu verkürzt ausgedrückt?

Aber eigentlich wollte ich auf etwas anderes heraus. Der geschriebene Text der Rede Münteferings vor der Programmkomission findet sich im Internet, Auszüge von der Heuschreckenrede habe ich nur bei Reuters gefunden.
Die Weltgeistwoche vom 2.05. 2005 findet, es gibt keinen Ausweg. Dort heißt es resignierend: "Ein jeder selber ist Heuschrecke wie er Opfer der Heuschrecken ist.
Gibt es einen Ausweg? Nicht innerhalb der Grenzen bestehenden Regelgefüges."
Warum so pessimistisch?
Wer sich durch die Programmkomissionsrede liest, stellt fest, dass es Müntefering nicht um Kapitalismuskritik ging. Der Staat ist sein eigentliches Thema, die Einzelkapitalisten, die der grundgesetzlichen Verantwortung nicht gerecht werden, sind ein Angriffsziel. Mitnichten möchte er den Kapitalismus abschaffen, er sieht nur mit Sorgen, dass die Politik seiner Regierung zu unliebsamen Folgen führt: Bildung auf allen Ebenen wird fast unbezahlbar, Infrastrukturen brechen zusammen, Gleichheitschancen schwinden, das Gewaltmonopol des Staates wird untergraben, der Staat wird handlungsunfähig. Dabei spielt er den Staat gegen die Gesellschaft und gesellschaftliche Gruppen aus. Ich werde den Verdacht nicht los, Münte möchte den staatsmonopolistischen Kapitalismus der 70er Jahre, eine Theorie, wegen der damals einige führende Köpfe aus der SPD ausgeschlossen worden waren. War der jetzige Generalsekretär nicht auch dabei?
Der Staat führt in Müntes Rede eine Eigenleben, zwar noch mit Dienstleistungscharakter, aber selbstbestimmt, autonom freischwebend über dem Ganzen sozusagen. Eben als Gesamtkapitalist, natürlich auf nationaler Ebene, nun ja, vielleicht auch im Schulterschluß mit dem Nachbarn im Westen, wer weiß?
Die Rede stand übrigens unter dem Titel: "Jetzt sprechen wir über Demokratie". Nach einer einführenden Darstellung der Demokratiegeschichte der BRD ist Punkt 1 seiner Rede: "Demokratie braucht Staat". Aber Holla. Im Folgenden braucht Demokratie auch, in dieser Reihenfolge: 2. Gesetz, 3. Mehrheit, 4. Aufklärung, 5. Teilhabe und Teilnahme, 6. Integration, und 7. Wehrhaftigkeit.
Die Reihenfolge ist bestimmt kein Zufall. "Alle Macht geht vom Volke aus" heißt es im Grundgesetz. Bei Müntefering kommt der Staat an erster Stelle. In diesem Zusammenhang kommt auch die Kapitalistenkritik. Es heißt dort
Im Denken und Handeln der Ökonomie ist der Primat der Ökonomie selbstverständlich, scheint staatliches Handeln oft unnötig bis kontraproduktiv. Ökonomie zielt – bestenfalls – indirekt auf das Sozialwesen Mensch, sie kalkuliert die Menschen zwar ein, aber nur in Funktionen: als Größe in der Produktion, als Verbraucher oder als Ware am Arbeitsmarkt.
Diese abstrakte Logik schlägt sich konkret im Handeln von bestimmten Finanz-Unternehmen nieder: Die international forcierten Profit-Maximierungs-Strategien gefährden auf Dauer unsere Demokratie.
Es liegt im eigenen Interesse von Unternehmern,- und davon gibt es noch sehr viele -, die sich für ihr Unternehmen, für ihre Arbeitnehmer und für den Standort mitverantwortlich fühlen und entsprechend handeln, diesen Entwicklungen gemeinsam mit uns entgegenzutreten.
Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen
Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns.
Die SPD will Markt und sie will ihn sozial. Dann soll sie auch die entsprechenden Gesetze in Gang bringen, das ehrenamtliche Engagement tatsächlich stärken und die Tobin-Steuer beschließen und international fordern.
 

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