12 April 2005

Religion in Berlin

Religion und Schulpolitik führen bei vielen Menschen, so sie nicht in ihrem Sinne bearbeitet werden, zu Erregungszuständen, die den säkularen Bundesbürger befremden kann. Kommen beide zusammen, wie letztlich bei der Entscheidung des Landesparteitag der SPD in Berlin, der einen verbindlichen Ethikunterricht in den weiterführenden Schulen möchte, den fakultativen Religionsunterricht aber auf den Nachmittag verschieben möchte, scheinen bei den einschlägigen interessierten Kreisen die Sicherungen durchzubrechen. Kirchen und anverwandten Kulturinstitutionen mag man die Erregung noch nachsehen, von Journalisten aber, selbst wenn sie konfessionell gebunden sind, muß Leser/Hörer erwarten, dass sie zumindest die Fakten parat haben.
Herbert A. Gorny ist Kommentator bei Deutschlandradio Kultur (D er Link führt leider nicht zu dem Kommentar). Er sah am 10. April 2005 spät abends das Abendland untergehen, fand den Parteitagsbeschluß als "Schande für Deutschland" und verwies am Ende auf die Aussage eines Philosophen, dessen Name mir entfallen ist, dass der Staat auf ethischen Grundlagen beruhe, die er nicht selber schaffe.
Was Herbert A. Gorny nicht erwähnte, nur ein Fünftel der Schüler nimmt am gegenwärtigen Religionsunterricht teil. Alle anderen, also 80 von 100 lassen sich befreien. Diesen kommen die Segnungen der Religion also nicht zu. Im Gegensatz dazu die hehren Absichten von SPD, Grünen und PDS: Jeder Schüler ist verpflichtet, sich mit Werten und Normen auseinanderzusetzen. Ich finde das viel sinniger als einen konfessionsgebundenen Unterricht, dessen Beschränktheit mich aus eigener Schulerfahrung im Nachhinein das Gruseln lehrte.
Christen glauben an den Tod und die Auferstehung Christi. Der Tod kam nicht von ungefähr. Mein katholischer Religionslehrer schaffte es, in meiner armen Kinderseele Wut und Haß auf die Juden zu erzeugen, die sich der römischen Besatzung bedient hatten, den Propheten zu kreuzigen. Doch, ich weiß den Namen dieses Klerikers heute noch. Der christliche Antisemitismus findet in der Bibel Belege und Rechtfertigungen. Die Pharisäer sind noch heute die sprichwörtlichen Heuchler. Es hat mich einiges gekostet, mich von dieser emotionalen Bindung zu befreien.
Vielleicht ist Religionsunterricht heute aufgeklärter, man möchte es hoffen. Ein Ethikunterricht, der allen Schülern spannende Fragen bietet und nicht mit vorgebenen Antworten kommt, ist sicher das Gegebene, betrachtet man den vielfältigen kulturellen Hintergrund, aus dem Schüler heute kommen.
Absurd finde ich dann Positionen, die in Kauf nehmen, große Teile der Jugend von der Wertevermittlung auszunehmen, nur um für einige wenige die reine Lehre anbieten zu können. Wer soll denn den jeweilig ungläubigen Mädchen und Jungen beibringen, auf welchen Werten diese Gesellschaft beruht? Wer ihnen Toleranz und Selbstverantwortung, Gemeinsinn und Nächstenliebe vermitteln, wenn sie nicht erreicht werden?