13 April 2005

Chinesische Sprachkünstler

Zehntausende von Chinesen haben gegen japanische Schulbücher demonstriert. Die ansonsten repressive chinesische Regierung ließ sie gewähren. "Japanisches Schulbuch treibt Massen auf die Straße" titelt der Tagesschau-Online-Nachrichtendienst. Hä?
Wer treibt wen? Das Schulbuch die Massen, klar doch. Nehmen wir das einmal nicht wörtlich, wundere ich mich doch über die exzellente Sprachbeherrschung junger chinesischer Männer des Japanischen. Ohne ein ernsthaftes Urteil abgeben zu können, erscheinen mir die chinesische wie die japanische Sprache als schwierig. Haben die Tausende alle die Schulbücher gelesen? Und wenn ja, was hat sie dazu veranlaßt? Haben Sie, potentieller Leser, schon einmal ein französisches oder polnisches Schulbuch in der Hand gehabt und dann auch noch die Veränderungen in der Darstellung bestimmter Ereignisse in verschiedenen Ausgaben verfolgt? Nicht? So, so.
Die Japanischen Invasoren waren vor und während des Zweiten Weltkriegs Besatzer, deren Brutalität denen anderer Invasoren und Kolonialherren in nichts nachstanden. Hielten sie sich doch für den Gipfel der menschlichen Entwicklung und zum Herrenmenschen geboren. Das nun angeprangerte Massaker an Chinesen in Nanking soll 200.000 oder 300.000 Tote gefordert haben. Japan hat sich meines Wissens nicht dafür entschuldigt, Sühne geleistet, Buße getan.
Das ist moralisch sicher verwerflich, aber japanische Soldaten, Feldherren und andere Herren reihen sich gut in den geschichtlichen Kreis von Unterdrückern ein, die die menschliche Geschichte bisher kennt. So weit, so bekannt.
Die Medien geben aber keine Hinweise darauf, was die chinesischen Demonstranten veranlaßt, sich ausgerechnet jetzt mit japanischen Schulbüchern zu beschäftigen und in der Folge japanische Kaufhäuser, Konsulate und Geschäfte zu stürmen und zum Boykott japanischer Produkte aufzurufen. Die Organisation sei über das Internet möglich geworden. Das aber soll, hört man, von der Regierung heftigst überwacht sein. Demzufolge können Fraktionen der chinesischen Regierung nichts damit zu tun haben?
Ich kann nicht nach China fahren, um selber zu recherchieren. Dafür leisten sich Zeitungen, Zeitschriften und Funk und Fernsehen Korrespondenten vor Ort. Darf ich erwarten, nicht nur mit platten Beschreibungen zugeworfen zu werden, sondern den Ansatz von Verständnis für diese befremdlichen Vorgänge geliefert zu bekommen? Nicht? Schade auch.
Nun will ich nicht ganz ungerecht sein. Der Stern schreibt: "Das Gefühl des Nationalismus soll die Chinesen einen, und vereint fühlt man sich am leichtesten in Abneigung gegen andere. Schon seit einiger Zeit nutzen die Machthaber in Peking den Nationalismus als Instrument, um ihre Herrschaft zu stabilisieren. Den emotionale Protest gegen den Nachbarn nutzt die chinesische Regierung als Ventil für die steigenden sozialen Spannungen im Land. Wenn sie sich verrechnen sollten, könnte der chinesische Nationalismus das Riesenreich und seine Nachbarn in den Abgrund reißen." Ein wenig weiter heißt es: "Mit Misstrauen beobachtet heute Peking, wie Ministerpräsident Junichiro Koizumi eine stärkere militärische Rolle Tokios auf internationaler Ebene anstrebt, sich für Taiwan zuständig sieht und die Volksrepublik China als militärische Bedrohung beschreibt. Dabei ist Koizumi auf Pekings Unterstützung für seinen Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat angewiesen."
Geht es darum, den wirtschaftsmächtigen Nachbarn zu stutzen?
Mit Rußland und Südkorea gibt es Auseinandersetzungen um Inseln, die jeder für sich reklamiert. Japan stützt Taiwan, dass sich nach dem jüngsten chinesischen Militärgesetz noch bedrohter fühlt als vorher. Geht es um die Vorherrschaft, vielleicht auch nur die wirtschaftliche, in Südostasien? Wer weiß das schon. Die Medien wohl nicht, aber vielleicht bieten Schulbücher Antworten?