14 Mai 2006

Ein Wolf heult in der Nacht

Ziemlich enthusiasmiert machte ich mich vorgestern Nacht auf den Weg nach Hause. Von Altona bis Barmbek. Da Wochenende war, fahren die Hamburger Bahnen während der Nacht durch, wie sich das für eine Großstadt gehört. Enthusiasmiert wegen eines angenehmen Abends in Begleitung einer wachen, gesprächs- und hörbereiten Schauspielerin, bei einigen Gläsern Wasser, einigen Oliven und einem Glas Rotwein.
In Sternschanze mußte ich umsteigen. Die klapperigen Wagen der U3 waren recht voll. Ich mag nicht so gerne an einem der Wagenenden sitzen. Also entschloß ich mich, bei zwei jungen Männern Platz zu nehmen, die zwei gegenüberstehende Doppelbänke dadurch belegten, dass der eine in Fahrtrichtung am Fenster, der andere mit dem Rücken zur Vorwärtsfahrt außen saß. Ich setzte mich neben den am Fenster. Der junge Mann mir gegenüber hatte ein Plakat vor dem Gesicht, das in der Mitte auseinandergerissen seine Nase und ein Auge freiließ. Zu erkennen war das Wort Liebe auf dem Plakat. Klar, Ernst-Deutsch-Theater, "Liebe und Tabu", solche Plakate hatte ich doch in den Bahnen gesehen. Eine Herzform im Kratzstil, als Schatten dahinter ein Paar, der Schriftzug "Liebe und Tabu" vor pinkigem Hintergrund.
"Haben Sie Angst vor mir?" fragte plötzlich der Plakatmensch. "Vor zerrissener Liebe?" fragte ich zurück. "Sie sollen aber Angst vor mir haben." Die Umsitzenden, vorher hatten sie etwas verkniffen dreingeschaut, lächelten vorsichtig. "Wollen Sie auch mal meine Maske?" - "Ich habe meine eigene, ich brauche Ihre nicht" und grinste dabei. Sein Freund versuchte den Maskenmann zu bremsen: "Hör auf, sei doch ruhig." Der fühlte sich sicher mindestens so gut drauf wie ich und fragte: "Soll ich mal wie ein Wolf heulen, damit Sie Angst kriegen?" Und er legte los, wie ein Pudelwelpen, das noch ein wenig üben muß. "Haben Sie jetzt Angst bekommen?" - "Ist es wichtig, dass andere vor Dir Angst haben, wo Du doch mit einem Liebesplakat vor der Stirn hier sitzt?" Die anderen Fahrgäste lachten.

An der Station "Hoheluftbrücke" hielt die Bahn. Der etwas besonnere Freund griff sich den Wolfsmann und zog ihn zum Ausgang. Die Maske legte sich ans Waggonfenster, bis die Durchsage kam "Zurücktreten bitte." Die Waggontüren krachten zu und die Bahn fuhr weiter, ohne Liebesmaske in die Nacht. Das Lächeln verschwand.